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  • Robert Enz

Vor bis auf Los! Denn zuweilen lohnt es, einfach nochmal anzufangen.

Aktualisiert: 29. Dez. 2020


Manchmal bringt es eine Sache voran, sie einzureißen und von Grund auf neu zu beginnen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sie ursprünglich einem gut durchdachten Bauplan aufruhte, der in seiner Umsetzung verpfuscht und verfälscht wurde: Aus Unwissen, Unvermögen, Aktionismus, Bequemlichkeit oder einfach aus Ignoranz.


 

Nicht unwahrscheinlich, dass Sie eine eben solche hässliche Bauruine in ziemlich zentraler Lage auf dem Firmengelände haben. Irgendwann seit den 90er Jahren als Versprechen künftiger Prosperität in Angriff genommen, franst das Ding heute rostig, trostlos, in halber Höhe auf Ihrem Campus aus. Und verbreitet unter den täglich eingezogenen Kopfes vorbeischleichenden Mitarbeitern eine Atmosphäre der Beklommenheit.


Ihre Ruine heißt Lean Management oder wahlweise Six Sigma. Und darf, wenn nicht gleich als Sündenfall der kapitalistischen Neuzeit, mindestens als ein teures Missverständnis gelten. Denn sie ist Mahnmal der Aufkündigung des inneren Vertrages zwischen Mitarbeitern und Management. Als solches zementiert sie jenen Moment, in dem Unternehmen unvermittelt aufhören, besser zu werden.


No concept has been more misunderstood by American managers, academics and workers than productivity. For workers in America a call for increased productivity carries with it the threat of layoffs.

Vielleicht haben Sie, nachdem es mit dem Lean Management nichts war, weitere prestigeträchtige Bauprojekte in Angriff genommen oder erwägen dies gegenwärtig zu tun. Damit erliegen Sie Verlockungen, denen nachzugeben allzu verständlich ist: Überschwemmt doch aktuell eine neue Welle in Methodik gegossener Heilsversprechen den unternehmerischen Globus. Unter Titeln wie aus dem Surf-Katalog: Agile, Scrum, Design Thinking. Hier öffnet sich Raum zum Träumen. Wotan, soeben noch in gedanklich luftigen Höhen über die Zinnen seiner etwas zu bequem erworbenen Burg wandelnd, grüßt aus Walhalls Trümmern ...


Um nicht gleichfalls unter schwerem Gebälk zu enden oder einfach weitere Ruinen an die Seite der vorhandenen zu setzen, sind Auseinandersetzung mit den Objekten der Begierde und nüchternes Denken am Platze. Was Sie zu einer wichtigen Einsicht führen wird: Ehe Sie sich an die Errichtung neuer Paläste machen, kümmern Sie sich um Ihre Ruine!


Die stylische Neuzeitarchitektur aus dem Tech-Sektor mit inkludiertem Lifestyle-Momentum nämlich gehört nicht neben die Ruine, sondern obendrauf! Als Obergeschosse auf ein solides Lean Fundament. Iterative Architektur. Ganz im Sinne der Programmatik. In einem anderen Bild: Den dreifachen Rittberger springt nur, wer den doppelten beherrscht. Dechiffriert? Ohne Lean kein Agile.


Ohne Erdgeschoss wird's schwierig: Haben Sie Lean verpfuscht, wird's mit Agile nix werden.

Das hat historische Gründe. Denn die agilen Frameworks sind nicht als genetisch neutrale Materie auf den Planeten Wirtschaft gefallen, sondern sind vorläufig letzte Stufen einer Evolution: unmittelbare Ableger jenes publizistischen Moves, der in den 90er Jahren dem weit älteren Toyota Produktionssystem (TPS) das terminologische Lean-Gewand überwarf.


Jenes Toyota Produktionssystem aber, das Lean paraphrasiert, ist weit mehr als eine Kompilation von Techniken der Prozessoptimierung in der Automobilindustrie. Mit dem TPS erhält auf erfrischend pragmatische, unvermittelte, offene, kompromisslose, ja apodiktische Art und Weise der Humanismus Einzug in die Wirtschaft: Der unbedingte Vorrang des Menschen, die unentwegte Entfaltung und Erweiterung seiner Möglichkeiten, permanentes persönliches und fachliches Wachstum, eine auf menschlichen Respekt, gegenseitige Unterstützung und Vertrauen gegründete Unternehmenskultur. Nicht vorrangig aus Altruismus, nicht unter den wehenden Fahnen eines romantischen Idealismus, sondern aus kühlem kommerziellem Kalkül: Weil sich nämlich nur so auf Dauer Geld verdienen lässt!


"Alex," Jim is careful choosing his words, "are you against layoffs, no matter what the profit of the company is?" "Yes."

Damit nahm Toyota das erfolgskritische Wertesystem jener Kompetenzgesellschaft vorweg, die in unseren Tagen die Industriegesellschaft ablöst und das Biotop für alle agilen Organismen bildet. Toyota etablierte den Humanismus als die Conditio sine qua non unternehmerischen Erfolgs zu einem Zeitpunkt, als die Kompetenzgesellschaft gerade erst vage heraufdämmerte. Nicht zufällig zitiert das agile Skalierungs-Framework SAFe in seinem House of Lean explizit das Toyota Modell.


Hätte es des publizistisch nachgeschobenen Begriffs "Lean", der Aufmerksamkeit auf Toyotas Respect for Humanity System lenkte, ohne Substanzielles hinzuzufügen, überhaupt bedurft? Inhaltlich nicht. Was aber die Popularisierung des Konzepts angeht, führen bald 30 Jahre Erfahrung den Erfolg und mit ihm die Problematik der begrifflichen Wahl vor Augen.


Lean nämlich ist in aller Munde. Aber als Erlösmaschine und Katalysator einer humanistischen Transformation unseres Wirtschaftslebens haben es abseits japanischer Werkspforten die wenigsten kennengelernt. Im Gegenteil: Wo in Management-Etagen westlicher Unternehmen der Begriff Lean fällt, stehen Mitarbeiter in der Regel schon auf der Schwelle. Mit Richtung nach draußen.


Der unbedachten begrifflichen Ambiguität geschuldet, rief Lean die falschen Geister auf den Plan: Im besten Falle fachlich Unbelesene, ebenso häufig aber Führungsmannschaften ohne unternehmerische Weitsicht. Weshalb es nicht Wunder nimmt, wenn sich Lean in der unternehmerischen Praxis meist ins Gegenteil seiner Idee verkehrte, in Belegschaften verbrannt ist und kommerziell bis heute günstigenfalls wirkungslos bleibt, häufiger aber verheerende (gleichwohl unbemerkte) Schneisen in die Bilanzen schlägt.


Hier steht sie also, Ihre Bauruine. Und Sie vor der Wahl: Setzen Sie weitere Stockwerke auf – und erhöhen mit jedem Stein die Last, die eher früher als später auf Sie niedergehen wird? Oder ignorieren Sie die Erbfolge von Lean auf Agile und gesellen der ersten Ruine weitere zu? Vielleicht planieren Sie ja auch das Terrain? Und beginnen von Neuem. Mit Lean. Nach originalen Bauplänen.


Von denen sich nicht erneut zu entfernen, Sie gut daran tun, Ihre Annahmen zum Thema Kosten von Grund auf zu überdenken ...




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