Mal wieder mit Kosten befasst? Müsste ja nicht sein. Ein bisschen Offensivgeist vorausgesetzt ...
Keinem Unternehmer schwebt als Vision das angestrengte Zusammenstreichen von Kostenpositionen vor, wenn er mit seiner Geschäftsidee in den Markt stürmt. Auch wählt sich niemand die Wirtschaft als Betätigungsfeld in der Ambition, in Form einschlägiger Programme zur Kostensenkung den geordneten geschäftlichen Rückzug anzutreten. Im Zweifelsfall kommt es auf gesellschaftlichem Parkett cooler, für die "Tech Five" zu arbeiten als eine tröge Restrukturierungsinitiative in einer dahinvegetierenden Industrie zu verwalten.
Dennoch arbeiten die wenigsten bei den Stars der Technologiebranche, während sich der durchschnittliche Angestellte – je nach Rang im Unternehmen als Täter oder als Opfer – in auffällig dichter Taktung mit eben jenen leidigen Kostenprogrammen, die er sich nie zur Berufung erkoren hat, herumschlägt. Und damit bereits mit Symptomen, die zu bekämpfen so aussichtsreich ist wie mit Sisyphos den ewig herabstrebenden Fels gen Gipfel zu wälzen.
Wer nicht bei den Symptomen landen und also überhaupt in Bedrängnis geraten will, beherzigt deshalb prophylaktisch besser gleich die Formel: Ein Kostenproblem hat, wer ein Erlösproblem hat! Erlöse nämlich liefern, da im Potenzial nach oben unbegrenzt, gegenüber Kosten, die wir nur gegen Null annähern können (und das ab einem Punkt zulasten der Erlöse) notwendig den größeren Hebel. Ist so schlagend wie simpel, lässt aber die Frage offen, was auf der Erlösseite zu unternehmen ist, um bei den Kosten zum Stoiker zu werden.
Nehmen wir denselben gleich als Wegweiser: Denn in ihrer Passion für die Knüpfung von Kausalketten entfalteten die Vertreter der Stoa eine Angriffslust, die uns den Schlüssel auch für unsere Aufgabenstellung in die Hand gibt. Wo nämlich das Bestehende auf logische Folgerichtigkeit geprüft wird, steht grundsätzlich alles in Frage. Und wie wir sehen werden, limitiert eben unser Maß an Bereitschaft, das Selbstverständliche, als gesetzt Genommene herauszufordern, unser Potenzial auf Erfolg – was auf alle Bereiche unseres Lebens zutreffen dürfte. Kenner der Theory of Constraints (ToC) werden ihn im Prädikat "limitiert" bereits als Flageolettton mitschwingen gehört haben: den Engpass. Der, entgegen landläufiger Meinung, keine physische Ressource, sondern eine Annahme, ein Paradigma ist.
Doch einen Schritt zurück und an einem persönlichen Beispiel, das in Tage zurückweist, als die ToC so fern am Horizont stand wie mein heutiger Beruf. Damals studierte ich Geschichte. Und bekam das Paradigma gleich in meiner ersten Veranstaltung an der Universität ziemlich lieblos vorgesetzt. Von einer Lehrkraft und also, es wird für unser Erkenntnisziel noch Bedeutung erlangen, einer Autorität: "Schön, dass Sie Ihrem Interesse nachgehen! Dass Sie damit einmal ein gutes Auskommen finden werden, darauf mache ich Ihnen keine großen Hoffnungen."
Es hat die Jugend nicht gelebt und die Reformation als eine Jahreszahl missverstanden, wer an dieser Stelle nicht mindestens innerlich entgegensetzt: "Wart' mal ab!" Es steht aber, wer diesen aus dem Affekt hervorgeschnellten Einwand macht, auch noch nicht auf der Stufe des Stoikers, der bei sich erwogen hätte: "Ist WAHR unter welcher Voraussetzung?". Und da wir alle mehr jung als Stoiker waren und auch später die nächste Stufe nicht durchgängig genommen haben werden, wird sich die These jener Lehrkraft im Stile einer Self-fulfilling prophecy bewahrheitet haben. Darauf wenigstens deutet die Statistik.
Hätte sie sich bewahrheiten müssen? Nein unter der Voraussetzung ... Na? ... Richtig, unter der Voraussetzung, dass wir die Grundannahme hinter der These entwerten. Und diese Annahme samt sich ableitender Kausalkette lautet so: Historiker sind Vergangenheitsexperten. Als solche streben sie in Bildungs- und Kultureinrichtungen. Diese sind finanziell spärlich ausgestattet, weshalb sie weder hinreichend Planstellen haben, um die in den Arbeitsmarkt strömenden Absolventen aufzunehmen, noch gute Gehälter zahlen können. Wer aber nichts oder wenig verdient, hat kein gutes Auskommen. Ein einfacher Dreisatz, dutzende Male gedanklich abgefahren und offenkundig wasserdicht. Jeder weiß es, jeder wiederholt es. Common sense. Kennen Sie!
Unterbrechen Sie die Lektüre, holen sich einen Kaffee und rufen Sie sich eine "Wahrheit" aus Ihrem beruflichen Kontext ins Bewusstsein ... Zurück? Ich bin zuversichtlich, Sie werden fündig geworden sein. Falls nicht, nehmen Sie sich den Wirtschaftsteil einer Tageszeitung zur Hand und unterstreichen Sie die Begriffe "Personalabbau", "Sanierer", "Sparpaket", "Kostenvorteil", "Führungswechsel", "Preisoffensive", "Anleger-Erwartungen", "Outsourcing" ... (erfahrene "ToCler" setzen den Strich am linken Rand oben an und ziehen ihn bis zum Seitenende nach unten durch).
Wir wollten die Grundannahme entwerten. Was anzugehen umso lohnenswerter ist, je unverrückbarer sie erscheint. Historiker sind also Vergangenheitsexperten. Wollen wir die unglückliche Kettenreaktion stoppen, dann am effektivsten hier. Einmal die Grundannahme akzeptiert, landen wir mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (wir können immer noch reich heiraten oder im Lotto gewinnen) bei einem Glas Wasser auf dem Arbeitsamt oder in einer unwirtlichen Mietwohnung. Wenn die Aussage "Historiker sind Vergangenheitsexperten" WAHR ist, dann ...
... müsste ich als Historiker einen Schimmer davon haben, was in irgendeiner Vergangenheit geschehen ist
... müsste ich mich als Historiker überdurchschnittlich für die Vergangenheit interessieren
... läge es nahe, dass das Fach "Vergangenheitskunde" hieße.
Upps, gleich drei Mal FALSCH:
Ich weiß so gut wie nix ...
... es interessiert mich wenig und ...
... das Fach heißt "Geschichte".
Also liegt meine durch das Studium erworbene Qualifikation anderswo als in der Kunde der Vergangenheit, also muss ich mein Auskommen nicht in Bildungs- und Kultureinrichtungen suchen und also brauche ich mich auch nicht beim Arbeitsamt einzufinden.
Dass ich das gleich zu Beginn ein Mal doch getan habe, führt uns auf eine wichtige Erkenntnis: Die Gesellschaft geht den vermeintlichen "Wahrheiten" nämlich zuverlässig ganzheitlich auf den Leim. Wodurch sich die Grundannahme verfestigt und der Effekt verstärkt. Ein Phänomen, das die ToC als negative Verstärkungsschleife oder Teufelskreis bezeichnet.
Sie sind wieder dran! Mit etwas Hartnäckigkeit werden Sie die Grundannahme Ihres Geschäfts brechen. Unterdessen hole ich mir einen Kaffee (finanziert aus der Invalidierung jenes mir freundlich vorgesetzten Paradigmas. Erkläre noch einer die Philosophie zur brotlosen Kunst) ...
Und? Sofern Sie zu keiner Lösung gekommen sind, seien Sie geduldig mit sich: Jede Fähigkeit erfordert Übung, um sie auszuprägen. Wenn aber doch, dann stehen Sie noch immer vor einer Aufgabe: Meinen Sie nicht, dass sich jemand in Ihrer Umgebung über Ihre bahnbrechende Erkenntnis freut! Neben der Bahn haben Sie nämlich soeben mit einer ganzen Anzahl an Konventionen gebrochen. Und drohen, sich der Störung der öffentlichen Ordnung schuldig zu machen. Schließlich haben Sie einen Raum verlassen: den Raum des Konsens. Die Hausordnung kritisch gelesen, für schlecht befunden und die WG gekündigt. Und indem Sie andere auffordern, es Ihnen nachzutun, unterstellen Sie erstens, dass diese sich im falschen Raum befinden, und reklamieren zweitens die zukunftsweisende Erkenntnis für sich. Das allein genügt, Ihren genialen Steilpass, dem rätselhafterweise keiner nachsetzen will, direkt in die Füße einer italienisch formierten Abwehrreihe aus Entscheidern zu spielen. Und da sind wir noch nicht in der Box: In der viel zitierten Komfortzone, die aufzugeben mit allerlei Risiken verbunden und von ach so vielen Hindernissen verwehrt ist.
Versuchen Sie also, den Würdenträgern geistes- und sprachwissenschaftlicher Fakultäten nahezubringen, dass deren mit staunenswerter Akribie zusammengerafften Erkenntnisse so wenig zufällig wie notwendig die Regale von Bildungseinrichtungen und nur von Bildungseinrichtungen säumen. Dem Top- oder auch nur Mittelmanagement eines DAX-Unternehmens, dass Lean so wenig auf die Einsparung von Personalkosten wie der FC Bayern auf die Teilnahme an der Kreisliga München III zielt. Einschlägigen Unternehmensberatern, dass Kapazitäten gegen die Nachfrage des Marktes zu matchen ein so hoffnungsloses wie teures Unterfangen ist. Dem Controlling, dass die "Optimierung" der Organisation auf Effizienz oder Produktivität (was immer man sich zur Gewohnheit gemacht hat, in diesem terminologischen Schaum zu verstecken) die optimale Maßnahme ist, das Ding gegen die Wand zu fahren. Vertretern eines Industrieverbandes, dass mit dem bedingungslosen Grundgehalt nicht die kollektive Untätigkeit Einzug erhält. Dem HR-Ressort, dass Großzügigkeit bei den Gehältern das Unternehmen am günstigsten kommt. Reihen Sie Ihr oben gebrochenes Paradigma gerne ein ...
Und finden Sie sich also in allen Fällen in der Rolle des David wieder, der es mit Autoritäten aufnimmt. Als welche diejenigen zu gelten haben, die wir als Autoritäten anerkennen – seien es Institutionen, Lehrsätze, Konventionen, Gewohnheiten, natürliche Personen, Funktionsträger oder einfach nur die Masse. Was zu tun oder zu unterlassen in unserer freien Entscheidung liegt. Der Protestant ist hier im Vorteil, indem Autorität ihn bereits qua ihres Anspruchs auf Gefolgschaft herausfordert.
Ein bisschen Kühnheit oder, besser noch, innere Unabhängigkeit ist also gefragt. Denn Widerstände bis hin zu Sanktionen können Sie so sicher einkalkulieren wie am langen Ende den Erfolg: "Kann nicht funktionieren!", "Unverantwortlich!" ... Reinhold Messner grüßt von der Droites Nordwand ... "Unsinn!", "Abwegig!" ... Mit ihm winken von oben Kopernikus, Edison ... "Will der Kunde nicht!" ... Henry Ford, Jeff Bezos, der Cirque du Solei, SAP, der australische Weinproduzent Yellow Tail, Apple ... Große Namen, die Sie – im Wissen auch um die Felsblöcke auf dem Weg – eher einschüchtern als zum Aufbruch animieren?
Ihr Fragezeichen führt uns zurück an den Anfang: Sie sind angetreten, um Unternehmer zu sein (sofern Ihr Betätigungsfeld nicht die Wirtschaft ist: um anderweitig Dinge zu bewegen, zu gestalten). Die Währung Ihres Erfolges – und Erfolg definiert sich auf der Erlösseite – ist die Bereitschaft, sich über Grundannahmen hinwegzusetzen, die Ihren Geschäfts- oder, allgemein, Handlungszweck limitieren. Unterlassen Sie das, enden Sie in Kostensenkungsprogrammen und früher oder später in der Insolvenz.
Sicher, für den Erfolg zahlen Sie einen Preis. Das Wesen des Invests: In Vorschuss treten, um am Ende mehr rauszubekommen. Hier aber handele ich von einem Preis, den Sie nicht in Geld begleichen. Stattdessen gilt es, geistige Trägheit zu überwinden und Rückgrat zu entwickeln. Das ist unbequemer und anspruchsvoller als einfach Geld in die Hand zu nehmen und etwa eine Beratung einzukaufen. Aber es bleibt ja ein Invest: Also gibt es viel zu gewinnen. Und: Sie können sich da hintrainieren. Jeder! Nicht nur ein Messner, Hendrix, Edison, Bezos ... Die sogenannten Ausnahmeerscheinungen nehmen sich deshalb aus, weil sie Wege machen, die die Masse nicht macht. Ob Sie also ein Star werden, liegt in Ihrer eigenen und ganz allein in Ihrer eigenen Entscheidung!
Zuletzt gibt es mit den Denkprozessen der Engpasstheorie auch noch vortreffliche Tools, die Sie in allen Phasen des Wandels unterstützen: Von der Invalidierung der Grundannahme über die Ableitung und Prüfung von Ideen, die interne Konsensbildung bis hin zur Umsetzungsplanung. Aber: Tools entfalten, Enzymen gleich, Wirksamkeit nur in Hinblick auf ihren Bestimmungszweck. Und nur in einem Milieu.
Dieses Milieu ist der Kritizismus. Der natürliche Widersacher hierarchisch basierter Ordnung, von Zufriedenheit und Selbstgefälligkeit, trägem Verharren auf früheren Errungenschaften, von Pietäten und Verdiensten, des Common sense, der Phrase, des opportunistischen Zurückhaltens begründeter Einwände, der dilettantisch vorbereiteten und auch der rein symbolischen Handlung.
Also Feuer frei! Innovation regnet nicht vom Himmel, sondern entspringt dem Bruch mit einer limitierenden Grundannahme. Genius ist keine göttliche Gabe an Auserwählte, sondern das natürliche Ergebnis passionierten Strebens. Wer systematisch gut darin ist, Paradigmen zu pulverisieren, den scheren weder Kosten noch der Wettbewerb. Denn er ist stets der erste im Markt. Blue Ocean ...
Wir sind zurück über dem Teich – bei den "Tech Five": Keine Festlegung auf ein Produkt oder ein Geschäftsmodell; kein Haften; kein Verharren; nicht einmal Respekt vor Branchengrenzen. Und: Keine One-Hit-Wonder! Erfolg als System.
Ach ja, die Angelsachsen unter den Historikern waren es auch, die ihre Bücher abverkauften wie Zuckerwatte. Und übergangslos in den Arbeitsmarkt hineindiffundierten. Professionelle Storyteller sind überall nützlich. Vielleicht keine Akkumulation von Zufällen: Denn die erfolgreichste Marktwirtschaft der Welt ist tief eingebettet in protestantisches Milieu. Geht einher mit ausgeprägtem Kritizismus und Erlösfokus. Beste Voraussetzungen für wirtschaftliches Gelingen.
Oh, ein Paradigma! Ihre Steilvorlage: Greifen Sie an und trainieren Sie! Wäre ja gelacht, wenn sich als Katholik keine Kohle machen ließe ...
H. William Dettmer: The Logical Thinking Process: A Systems Approach to Complex Problem Solving
Lisa Scheinkopf: Thinking for a Change: Putting the TOC Thinking Processes to Use
Eli Schragenheim: Management Dilemmas: The Theory of Constraints Approach to Problem Identification and Solutions
W. Chan Kim, Renée A. Mauborgne: Blue Ocean Strategy: How to Create Uncontested Market Space and Make the Competition Irrelevant
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