Denn was Ihr Business limitiert, müssen Sie zunächst aus der Organisation herausmeißeln. Um darin gleichzeitig die Lösung zu finden.
Michelangelo, der Schöpfer des David, sagte einmal, das Kunstwerk wohne bereits als Idee dem Marmorblock inne und müsse bloß noch aus diesem befreit werden.
Das ist auch das Prinzip der sog. Denkprozesse, einer Teildisziplin der Engpasstheorie: Sie stellen Fragen an die Realität, um die Lösung, die ihr als Möglichkeit bereits inhärent ist, freizulegen. Das Ergebnis ist ausgesprochen plastisch. Lösungen eignet die Bescheidenheit, sich in der Rückschau selbstverständlich, beinahe trivial auszunehmen: Klar, ein Rad! Sicher, drucken statt abschreiben! Die Cloud!
Doch Michelangelo stand – Idee hin oder her – zunächst vor einem Marmorblock und, vorher noch, in der Regel über Wochen in einem unübersichtlichen Steinbruch. Das Rad gab es über Jahrtausende so wenig wie den Buchdruck. Und wir können annehmen, dass es nicht das Empfinden der Menschen war, etwas zu vermissen. Wie auch? Denn um vermisst zu werden, muss eine Sache existiert haben. Mehr noch: Das Rad und der Buchdruck wären früher erfunden worden, hätten die Menschen überhaupt auch nur das Unzureichende der Situation, das Problem, die Aufgabe erkannt.
Also starten wir wie Michelangelo: im Steinbruch. Und wissen, anders als der Meister, geleitet vom inneren Kompass des Genies, im Regelfall nicht einmal, wonach wir Ausschau halten. Welches der Abertausenden von Subsystemen in unserer Organisation, alle mit Mängeln behaftet, ist der Mühe näherer Betrachtung wert, um das Gesamte zu verbessern? Und bessert sich durch lokale Maßnahmen auf Systemebene überhaupt etwas?
Die Denkprozesse ersetzen uns hier Michelangelos treffsicheren Instinkt: Denn am Ende begegnen uns Mängel – unerwünschte Effekte in der Sprache der Engpasstheorie – im unternehmerischen Alltag auf Schritt und Tritt. Unerwünschte Effekte bezeichnen all das, was zum Ziel des Systems oder zu den kritischen Erfolgsfaktoren der Zielerreichung im Widerspruch steht. All die Gegebenheiten, die uns hindern, erfolgreicher in dem zu sein, wozu wir unsere Organisation bestimmt haben.
Da diese Mängel meist messbar, mindestens wahrnehmbar sind, spricht die Theory of Constraints von physischen Engpässen. Die Abbildungen illustrieren, wie diese physischen Engpässe über die Zwischenetappe von Richtlinien-Engpässen auf Paradigmen-Engpässe als Grundursache zurückführen:
Physische Engpässe
Ob Mangel an Personal, an spezifischem Know-how, an Rohstoffen, ob knappe Produktionskapazitäten oder, im Gegenteil, fehlende Nachfrage im Markt: Von physischen Engpässen ist jede Organisation geplagt. Dabei müssten Sie gar nicht Opfer sein! Denn physische Engpässe sind keineswegs Ergebnis höherer Gewalt, sondern schlicht von internen, selbstgewählten Richtlinien – und als solche beherrschbar.
Richtlinien-Engpässe
Auch Policies – ob verschriftlicht oder einfach gelebt – kennt jede Organisation. Und wer kann sie schon leiden! Wofür auch? Oftmals stehen Richtlinien Verbesserungen im Wege. Und Stagnation demotiviert. Nicht nur: Sie ruiniert auch das Geschäft. Dabei sind Policies in der Regel nicht vorsätzlich hinderlich, entspringen niemandes böser Absicht. Sie haben sich einfach eingefahren, repräsentieren häufig sogar Lösungen für in der Zeit zurückliegende Herausforderungen. Und sie sind nicht die letzte Instanz des Problems ...
Paradigmen-Engpässe
... denn hinter Policies stehen Hypothesen. Annahmen. Glaubenssätze. Paradigmen. Mühsam aufzubohren: Hier nämlich treffen wir auf Granit, erreichen das harte Fundament menschlicher und organisationaler Überzeugungen. Dennoch eine gute Erkenntnis! Denn wenn die Grundursache physischer Engpässe in unserem Denken liegt, dann können wir diese auflösen, indem wir unser Denken ändern. Das macht uns unabhängig von vermeintlich widrigen Umweltbedingungen und legt die Geschicke unserer Unternehmung zurück in die eigene Hand.
Paradigmen- und physische Engpässe beschreiben ein 1:n-Verhältnis: Ein beschränkendes Paradigma bedingt in der Realität viele physische Engpässe. Im Umkehrschluss: Wo wir in unserer Organisation auch beginnen – wir werden uns zu einer Grundmenge an Paradigmen vorarbeiten, die uns ein Vielfaches an physischen Engpässen zu steuern hilft. Das setzt uns gegenüber Michelangelo, der schlecht daran getan hätte, den erstbesten Block zu behauen, in den Vorteil.
If we dive deep enough we'll find that there are very few elements at the base, the root causes, which through cause and effect connections are governing the whole system. The result of systematically applying the question 'why?' is not enormous complexity, but rather wonderful simplicity."
Eliyahu M. Goldratt: The Choice.
Wenn nicht Genie, so benötigen dann allerdings auch wir Werkzeuge, um Lösungen aus der unbehauenen Materie unserer organisationalen Realitäten freizuschlagen. Was dem Bildhauer Hammer und Meißel, sind uns die Denkprozesse: Hinreichende und notwendige Bedingung – zwei der Logik entlehnte Sichtweisen auf Ursache-Wirkungszusammenhänge, die wir über eine Handvoll Applikationen durch die verschiedensten Anwendungsfälle deklinieren. Ob wir Konflikte lösen, Menschen gewinnen, Services verbessern oder neue Märkte erschließen wollen.
Liest sich kompliziert, liegt aber in unserer Natur, die für unsere beruflichen Zwecke zu nutzen uns seltsamerweise so häufig fern liegt. Denn tatsächlich stellen wir die Fragen nach Ursache und Wirkung unentwegt: Ob wir mit wechselndem Erfolg Münzen am Getränke-Automat reiben, Mimik interpretieren oder Bleaching Zahnpasta kaufen. Indem wir uns also auf diese Weise munter durch unseren Alltag kombinieren, bringen wir eine solide logische Grundkompetenz bereits mit. Die beliebig auszubauen in unserer Entscheidung und in unserer Möglichkeit liegt.
Gelegenheit, einem Großen, der seine Kunst als Handwerk begriff, ein Stück näher zu kommen ...
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